Igor Ohnjec, 27.11.2019
Heute packte mich spontan mal die Lust, mich einer meiner auserlesenen Analogkameras zu widmen und damit zu fotografieren — genau, mit Film. Ich greif mir also meine Nikon F3 aus dem Regal — ein Traum von Kamera, Giugiaro, die erste mit dem berühmten roten Streifen — und überlege mir, welchen Film ich einsetzen soll. Meine Wahl fällt auf einen Kodak T-Max ISO 400, einen Film für Schwarz-Weiss, und ich weiss, das wird auch für die nächsten 24 Bilder so bleiben.
Beim Einlegen des Films halte ich den Streifen gespannt, damit er plan liegt und keine Wellen auftreten, sodass später der Filmtransport einwandfrei funktioniert, und schliesse behutsam die Rückwand. Durch ein sanftes "Klack" weiss ich, dass der Deckelverschluss sauber eingerastet und geschlossen ist und kein Fremdlicht in die Kammer kommt. Ich erinnere mich nur zu gut an all die Male, als ein Film nicht zum Einsatz kam, weil er beim Aufziehen stecken blieb oder die Rückwand aufgesprungen ist. Jetzt positioniere ich die ISO Lichtempfindlichkeit auf der Kamera auf den vom Film vorgegebenen Wert, schalte die Kamera ein (lediglich für Lichtmessung und Verschluss), betätige den Filmtransporthebel und drücke den Auslöser für Leeraufnahmen; einmal, klick, zweimal, klick, dreimal, klick — fertig und ich bin "ready to shoot"!
Mein Ziel sind die Strassen von Zürich. Ich benötige den ganzen Nachmittag, um meine zwei Dutzend Fotos durchzubringen. Zum Vergleich: Mit meiner digitalen Systemkamera hätte ich bis dahin wahrscheinlich schon das Zehnfache davon geschossen. Ich habe keine Ahnung, wie die Fotos aussehen werden. Ich werde es herausfinden, so in etwa zwei Wochen, wenn ich den Film entwickelt habe.
Wenn Sie diesen Artikel bis jetzt noch nicht weggeklickt haben, gehören Sie definitiv zu denen, die er ansprechen möchte.
Die analoge Fotografie, auch wenn sie technisch gesehen als überholt gilt, ist nach wie vor gefragt, wenn es um den speziellen Touch von Bildern mit der unverkennbaren Wärme, Charme und einzigartigem Charakter geht. Es gibt heute eine ganze Subkultur von Film-only Fotografen, die ausschliesslich mit alten und sogar antiken Fotoapparaten arbeiten und für Digitalkameras nichts übrig haben. Es erübrigt sich zu sagen, dass ich nicht zu dieser Gruppe gehöre. Ich bin kein Analog Guru, schätze aber die "alte Technik" wegen ihrer Übersichtlichkeit und Genialität, denn ich staune zum Teil, bis zu welchem Punkt die Konstrukteure die bestehende Technologie ausreizen konnten — und es macht einfach Spass. Im Folgenden versuche ich zu beleuchten, warum analoge Fotografie vielleicht auch in Zukunft noch Anhänger haben könnte.
Die Arbeit mit Film ist im Verhältnis zu der digitalen Fotografie ein eher langsamer und in verschiedenen Stufen komplett manueller Prozess. Dies führt schon von Beginn an dazu, dass Bilder überlegter und gezielter geschossen werden, da es einerseits keine Vorschaumöglichkeit auf das fertige Bild gibt wie bei Digital, aber auch die Filmlänge von maximal 36 Bildern bei Kleinbild (6-12 bei Mittelformat) gewisse Grenzen setzt.
Analoge Fotografie ist ein Handwerk durch und durch, anfassbar, real. Nicht nur, dass bei älteren Kameras wenig bis keine Automatismen vorzufinden sind — heute undenkbare Dinge wie manueller Filmtransport, Fokussierung und bei ganz alten auch die Belichtungsmessung manuell oder ausserhalb des Systems bedient werden muss — auch die Entwicklung des Films liegt wortwörtlich in den Händen des Fotografen, der den Film mit Chemikalien bearbeitet, um am Ende die Negativstreifen in den Händen zu halten, die dann, wieder im manuellen Prozess und mit ein bisschen Chemie, auf Fotopapier gebracht werden, die wir schliesslich als das Endprodukt in Form einer Fotografie wahrnehmen.
Heutzutage wird vielfach in einer Mischform von analog und digital gearbeitet. Das heisst, die Fotos werden erst mit einer analogen Kamera auf Celluloid gebracht und nach Erstellung der Negativstreifen digital eingescannt.
Warum aber dieser Aufwand, wenn moderne, digitale Fotografie so viel schneller ist und unendlich viele kreative Möglichkeiten bietet? Die Antwort auf diese Frage lautet Authentizität. Fotografieren mit Film ist Kunst in Handarbeit. Die Qualität der Fotografie wird von jedem Schritt des Prozesses beeinflusst. Dazu kommt auch noch der Look vom Analogfilm, die Körnung, die Farbgebung und ganz speziell die Auswirkungen der Kamera oder, besser gesagt, des Objektivs auf einen bestimmten Filmtyp. Film ist einzigartig und originell und der Look mit digitaler Technologie nur mit grossem Aufwand zu reproduzieren. Zusätzlich wirkt eine gewisse Entschleunigung auf den Fotografierenden, weil alles im Voraus bedacht werden muss und die Handgriffe beim Fotografieren ein bisschen zahlreicher sind als bei Digitalkameras.
Analoge Fotografien werden zum Beispiel in der Event- oder Hochzeitsfotografie als Zusatzoption verwendet. Oder es wird eine Polaroidkamera unter den Gästen für Selfies herumgereicht, um die Sofortbilder dann in einer Collage anzuordnen. Interessant ist auch, dass Filmstreifen sehr einfach und bis zu 100 Jahre lagerbar sind. Wenn Sie also ein Foto für Ihre Ur-Ur-Ur-Enkel erhalten möchten, ist Film eine nicht wegzudiskutierende Möglichkeit dazu.
Um auf die ursprüngliche Frage einzugehen, ob Film in 2019 noch ein Thema ist, würde ich sagen ja, und ob. Jedoch eher als Nische in der Welt der Fotografie und unter Enthusiasten, denn in kommerzieller Hinsicht hat der Film seinen Abschied schon vor Jahren gefeiert. Ein Zeichen dafür sind die stetig ansteigenden Preise für Filmrollen und deren Entwicklung und die grossen Hersteller von Filmen, die die Produktion einzelner Filme einfach aufgeben oder gleich komplett damit aufhören. Doch so ganz aussterben will er nicht, der Film, denn die analoge Fotografie lässt noch immer ihren einzigartigen Charme spielen — bei Menschen jeden Alters und sogar bei solchen, die zu Digitalzeiten zur Welt gekommen sind und jetzt erst die Schönheit dieses Handwerks entdecken.
Schöne Grüsse aus der Dunkelkammer.
Und hier noch ein paar Beispiele, weil es gerade so schön passt :-)